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Das Potenzial von musikalischem Sampling. Ein Spannungsfeld transkultureller Praxis

Von Nele Liekenbrock

“You can’t be what you can’t see.” (Marian Wright Edelman)

Oder you can`t be what you can`t hear. Und wie steht es eigentlich um die deutsche elektronische DJKultur?

Immer wieder berichten Menschen von unterschiedlichen rassistischen Phänomenen innerhalb der deutschen Clubkultur wie z.B. dem sogenannten Whitewashing der Techno- und Housemusik und damit einhergehender fehlender Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen und People of Color als Besucher*innen, Akteur*innen, Produzent*innen und Labelbetreibende.

Eine weitere Diskriminierungsform ist die sogenannte Tokenisierung, die eine Instrumentalisierung marginalisierter Gruppen beschreibt, um nach außen eine antidiskriminierende und diverse Praxis und Haltung zu vermitteln, während hierarchische und ausschließende Strukturen intakt bleiben.[i] In der elektronischen Clubszene zeigt sich dies z.B. beim Booking und den Line-Ups, die gerade in den letzten Jahren vermehrt FLINTA*-Personen und DJs of Color einladen ohne die eigenen Strukturen innerhalb eines Clubs mitzudenken oder zu verändern.

Da der Rassismus in der Gesellschaft und somit auch in den Räumen der Musikkultur immer noch viel zu stark ignoriert oder oberflächlich bearbeitet wird, ist gerade die Frage „Woher kommt der Techno eigentlich?“, die sowohl von weißen Menschen sowie Menschen aus der Black Community gestellt wird, bezeichnend. Eigentlich handelt es sich um eine sehr traurige aber grundlegende Frage, die teils an mangelndem Musik- und Geschichtswissen sowie fehlender Repräsentation von queeren Schwarzen DJs auf öffentlichen Veranstaltungen liegt. Außerdem bedient sich die weiße elektronische Musikszene (Labels, Clubs, Festivals und Musikproduzent*innen) auch weiterhin an kulturellen Praktiken der BIPoC (Black, Indigenous and People of Color), bis hin zu Whitewashing musikalischer Kulturen. Dies hat zur Folge, dass sich viele Schwarze Personen in deutschen Clubs nicht sicher und unwohl fühlen, die Geschichte und Pioniere der modernen Clubkultur sowie der damit einhergehenden Wunsch nach queeren, integrativen und gerechten Räumen innerhalb der Gesellschaft, vergessen werden.

Um diesen Zustand zu verändern, ist es wichtig gerade die politische Relevanz von Musikgeschichte und die im Folgenden noch näher zu beschreibende Praxis des Samplings zu befragen. Dank bestimmter transdisziplinarer und bildungswissenschaftlicher Projekte, die sich der Geschichte internationaler Sound-, Club- und Rave-Kultur widmen, geschieht dies auch in Deutschland immer mehr. Sehr zu empfehlen sind hierfür Musikdokumentationen wie z.B. I was There when House Took over the World[ii] von Jake Summer, Black to Techno[iii] von Jenn Nkiru und High Tech Soul – Techno & Detroit Music Documentary[iv] von Gary Bredow. Dabei geht es um die Anfänge der populären elektronischen Tanzmusik und um die Fragen: Wie möchte ich Musik spielen, woher kommen die Klänge und Rhythmen und mit wem möchte ich dabei kollaborieren, wem Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegenbringen?

Musikalisches Sampling und die Ursprünge von Techno und House

Um die diskriminierenden Strukturen in der Clubkultur verständlich zu machen, ist es unumgänglich, die Frage nach den Wurzeln der Genres und der Herstellungstechnik elektronischer Beats zu stellen. Da eine vollständige zeitgeschichtliche Begriffsklärung und Entwicklung der Sampling-Technik den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, möchte ich hier nur auf die Anfänge der Techno- und Housemusik bzw. auf die afroamerikanische DJs aus der New Yorker Bronx in den 1970er Jahren eingehen. Man liest allerdings auch von vielen vorhergehenden musikalischen Strömungen wie z.B. den Futuristen und Avantgardisten in Europa, die das Sampling benutzen und damit zur Emanzipation des Geräuschs bzw. einer allgemeinen Aufwertung des Klangs als musikästhetischem Baustein beigetragen haben.

Grundsätzlich handelt es sich bei einem musikalischen Sample um ein Klangstück aus einer bereits bestehenden Ton- bzw. Musikaufnahme. Das dazu angewendete Verfahren, das sogenannte Sampling, kombiniert neue Klänge mit anderen ausgewählten Tonspuren, die mithilfe von Hardware- oder Software-Samplern digitalisiert und gespeichert werden. Der Soziologe und Musikwissenschaftler Georg Fischer beschreibt das Verfahren des Samplings als einen Prozess mit einem besonderen „Verhältnis zwischen Altem und Neuem. Im Gegensatz zu spurlosen, hochgradig autonomen Werken bleibt beim Remix das Alte im Neuen erkennbar.“[v]

Die Geschichte der Techno- und Housemusik beginnt mit der Hochphase der Disco-Musik in den 1970er Jahren und der daraus entstandenen Urform: dem sogenannten Chicago House. Dieser legte in den 1980er und 1990er Jahren in Nordamerika, besonders in Chicago und später in Detroit, den Grundstein für eine breite elektronische DJ Community, die größtenteils aus People of Color und Schwarzen Menschen bestand. Der „Godfather of House“ aka DJ Frankie Knuckles sampelte damals die auf Rhythmus konzentrierten Instrumentalpassagen bekannter Disco-Tracks ineinander und trug einen großen Teil zur Erfolgsgeschichte der vielen elektronischen Musik- Genres bei.

Mithilfe der Globalisierung haben gerade neue Technologien und Medien zu einer transnationalen Kommunikation geführt und so konnte sich Techno und House ab Beginn der 1990er Jahre auch in Deutschland etablierten. Dabei sind die Ursprünge bestimmter Musikgenres zugunsten besserer Vermarktungsstrategien bzw. ökonomischem Profitdenken und Machtdiskursen oft ignoriert worden.

Für den Musikwissenschaftler Johann Ismaiel-Wendt, der sich mit dem Zusammenhängen von populärer Musik, Postkolonialismus und Wissensgenese auseinandersetzt, enthalten viele Musikgenres bzw. die unterschiedlichen musikalischen Klänge immer ein explizites Wissen und Informationen über Kultur, Migration und Vermischung. So beschreibt er in einem Interview mit Philipp Rhensius und noch ausführlicher in seinem einem Buch tracks’n’treks. Populäre Musik und Postkoloniale Analyse:

„Ich gehe davon aus, dass in Musik zum Beispiel kulturelle Landkarten fixiert werden, aber auch dynamische Kulturkonzeptionen eingeschrieben sind. In Popmusik ist auch stets das Wissen um die ‚Treks‘, die strapaziösen Reisen des Postkolonialismus wie Sklaverei, Diaspora und Migration, gespeichert. ‚Weltgewaltig‘ meint wiederum, dass Musik Bewegungen und ‚Tracks‘ zu gestalten vermag. Wir hören und spielen darin die Welt, die wir noch gar nicht kennen.“[vi]

Dabei bezieht sich Ismaiel-Wendt in seiner Forschung immer wieder auf den Theoretiker und Mitbegründer der postkolonialen Theorie Edward Said, der unter anderem den Begriff des Orientalismus und damit den westlichen Blick auf den Nahen Osten und die arabische Welt als „Stil der Herrschaft, Umstrukturierung und des Autoritätsbesitzes über den Orient“[vii] etabliert hat. Said analysierte viele Beispiele aus der Popkultur und kritisierte immer wieder die klischeehaften Repräsentationen des erst zum ‚Orient‘ Gemachten als Sehnsüchte und Phantasien aus westeuropäischer Sicht.

Sampling als transkulturelle Kulturtechnik

Im Gegenzug dazu erläutert die Kulturanthropologin Gertrud Koch in ihrem Sammelband Transkulturelle Praktiken. Empirische Studien zu Innovationsprozessen verschiedene Möglichkeiten der kulturellen Mischung und bezieht sich unter anderem auf die Kreolisierung, die bricolage, und die Technik des Samplings. In diesem Zusammenhang frage ich mich, welche Verbindungen es zwischen dem Prozess der Kreolisierung und dem Prinzip des musikalischen Samplings gibt. Édouard Glissant sieht Kreolisierung als „eine Begegnung kultureller Elemente aus den unterschiedlichsten Weltgegenden, die sich in der Wirklichkeit kreolisieren, die sich in der Wirklichkeit überlagern und ineinander verschmelzen und schließlich etwas absolut Unvorhersehbares, absolut Unerwartetes schaffen, eine kreolische Realität ”[viii].

Es handelt sich um eine Realtität, die oft auch als Technik der transkulturellen Hybridisierung interpretiert wird. Glissant betont allerdings in seiner Begriffserläuterung, dass unterschieden werden muss zwischen dem Prinzip der kulturellen Vermischung, die durch eine Linearität und formative Bezüge zu einer Berechenbarkeit führen kann, und der Kreolisierung, die dagegen eher als eine flüchtige Form zu verstehen sei, die einen unvorhersehbaren Prozess bewirkt.[ix]

Um was handelt es sich bei der Technik des Samplings?

Wenn wir also versuchen, das Potenzial von Samplingtechniken in den elektronischen Musikgenres als eine hybride, wissensvermittelnde und innovative Ausdrucksform zu verstehen, ist die Referenzialität aber auch die Fusionierung von unvorhersehbaren neuen Musikgenres spannend. Da das Sampling oft auf seine Zitiertechnik reduziert wird, spielt gerade das Collagieren und neue Kontextualisieren einzelner Samples und deren narrativer Kraft eine große Rolle. Dabei steht auch immer die Frage nach der Sichtbarkeit und Markierung von Referenzen und der Identifikation mit dem Material im Raum. Gerade in den Genres elektronischer Tanzmusik wie House, Techno, Dubstep oder Drum’n’Bass werden oft uneindeutige Samples als akustische Bausteine eingesetzt. Dabei handelt es sich um repetitive Rhythmen, die eine hohe strukturelle Ähnlichkeit untereinander aufweisen. Dies erleichtert es DJs, daraus zusammenhängende und unterbrechungsfreie Sets zu kreieren. Mit Hilfe der Samplingtechnik werden die elektronischen Beats dann oft mit passenden einzelnen Momenten aus Gesang, populären Reden oder anderen Klängen kombiniert, zerstückelt und innerhalb eines repetitiven Techno-Loops als kurze, markante Sounds wieder eingesetzt.[x]

Dabei entstehen spielerische Narrative die meist durch den monotonen Grundrhythmus zu einer Sensibilisierung für Akzente, Zitate, Verschiebungen und akustischen Verzerrungen führen und ein genaues Hören erfordern. Gerade in der Techno- und Housemusik geht es oft um marginale akustische Veränderungen im Sinne einer uneindeutigen Referenzialität, die mit der Spontanität und dem Neu-Erschaffen bestimmter Klangwelten experimentieren.

Decolonize your Club

Um ein aktuelles Beispiel für dieses Verständnis des Samplings und der Klangfusion in der Technoszene zu benennen, erscheint mir die Aktivistin und international bekannte DJ und Produzentin Sarah Farina eine passende Vertreterin zu sein. Bei ihren Liveauftritten und DJ-Sets geht es grundsätzlich um eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts auf mehreren Ebenen. Dafür mischt sie verschiedene musikalische Genre wie z.B. Drum and bass, Ghetto House, Jungle, UK Funky und R&B und kreiert daraus einen basslastigen Sound, in dem unterschiedliche elektronische Klänge und Rhythmen collagiert werden. Sie selbst bezeichnet ihren Musikstil als „rainbow bass“, ein Name, der Stile verbindet und Beziehungen untereinander herstellt. Zum einen geht es ihr um die musikhistorische Verbundenheit und zum anderen um den gesellschaftspolitischen Kontext bzw. die Vorstellung, dass wir alle miteinander verbunden sind und nur zusammen in unserer Vielheit existieren können und dies auch für eine kulturelle Weiterentwicklung brauchen. Denn auch in der DJKultur gibt es immer wieder Menschen, die sich ermächtigen und bestimmte Musikgenres nutzen, um damit erfolgreich zu sein oder z.B. einem Trend zu folgen. Dadurch werden die Ursprünge unkenntlich gemacht und die Musik inhaltsleer. Sinh Tai – auch bekannt als DJ MinusMinus – betont in einem Interview über die Entwicklungen und Ursprünge von House und Techno, dass es gerade beim Sampling und Fusionieren von verscheiden Genres wichtig ist, die sich den Fragen zu stellen: „Wie kann dann kultureller Austausch stattfinden, wie können sich Subkulturen bilden, dürfen wir dann überhaupt nichts mehr konsumieren, produzieren? Werden die Menschen, die dazu beitragen, von denen wir die Musik nehmen (bspw. Schwarze Produzierende), dafür entlohnt?“[xi] Er erklärt, dass der schmale Grat zwischen kultureller Aneignung und Aufklärung ein komplexer Bereich und eine differenziertere und bewusstere Auseinandersetzung benötigt. Gerade im Zusammenhang mit der Musik und konkreten Räumen deutscher Clubkultur bedeutet das, dass eine privilegierte musikkonsumierende Gesellschaft, auf struktureller aber auch individueller Ebene für mehr Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen und People of Color einstehen muss. Und wir uns über den Unterschied zwischen kultureller Aneignung und Wertschätzung klar werden müssen, um keine ausbeuterischen und diskriminierenden Praxen innerhalb der Musikbranche zu wiederholen. Dabei sei noch zu erwähnen, dass Sarah Farina bewusst das Symbol des Regenbogens benutzt, das für die Queer Pride steht, und demnach auf die Entstehung und Zusammengehörigkeit von Clubkultur und queeren Räumen innerhalb der Gesellschaft verweist. Denn bestenfalls kann der Club und das gemeinsame Musikerlebnis ein Raum der Solidarität und Freiheit also eine Art Safe Space für alle sein und gleichzeitig Menschen für Musikgeschichte und Klänge sensibilisieren.

Wer mehr über die Thematik erfahren möchte, der und dem empfehle ich den Podcast Politics of the Dance Floor von Kerstin Meißner und Sarah Farina:

https://hkw.de/de/programm/projekte/2020/on_music/podcast_on_music/start.php.

Viel Spaß beim Hören!

Redaktion: Ida Feldmann / Rebekka Tempel

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[i] vgl. dazu https://www.kubi-online.de/artikel/kulturinstitutionen-ohne-grenzen-annaeherung-einen-diskriminierungskritischen-kulturbereich, Abruf am 10.4.2021

[ii]  Sumner, Jake: I was There when House Took over the World. Großbritannien: Pi Studios, 2017.

[iii] Nkiru, Jenn: Black to Techno,.Großbritannien: Iconoclast, 2019.

[iv] Bredow, Gary: High Tech Soul – Techno & Detroit Music Documentary. USA: Plexifilm, 2006.

[v] Fischer, Georg: Sampling in der Musikproduktion: Das Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Kreativität. Marburg: Büchner-Verlag 2020, S.51

[vi] vgl. dazu https://jungle.world/artikel/2013/45/populaere-musik-ist-postkolonial, Abgerufen am 9.4.2021

[vii] Said, Edward: Orientalismus. Berlin: Ullstein Verlag 1981, S. 10.

[viii] Glissant, Édouard: Kultur und ldentität Ansätze zu einer Poetik der Vielheit. Heidelberg: Verlag Das Wunderhorn 2005, S.10

[ix] vgl. Ebd., S. 62-64

[x] vgl. Kühn, Jan-Michael: Wie entsteht Neues bei der Produktion elektronischer Tanzmusik? Eine explorativ-ethnografische Erhebung. Berlin. Diplomarbeit TU Berlin 2009, S. 77-79

[xi] vgl. dazu https://www.frohfroh.de/34655/clubkultur-politik-iv-diversitaet-rassismus#:~:text=Sinh%3A%20DJs%20erm%C3%A4chtigen%20sich%20der,der%20Ursprung%20nicht%20anerkannt%20wird. Abruf am 8.4.2021

Veröffentlicht unter Dekolonisierung

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